Pädagogischer Aufenthalt in Estland (13.9. – 10.10.2015)
Wie ich dazu kam, ausgerechnet in Estland einen Monat lang zu unterrichten, wurde ich des Öfteren gefragt, immer begleitet von ungläubigen oder sich wundernden Gesichtern. Die Antwort war immer die gleiche: Ich wollte das schon immer; den Wunsch, Unterrichtserfahrungen im Ausland zu sammeln, hatte ich schon sehr lange. In einer Ausschreibung des Ministeriums fand ich die Chance im Zuge eines Pädagogischen Aufenthalts für vier Wochen nach Estland zu gehen. Ich bewarb mich und wurde kurze Zeit darauf zu einem Interview ins Bildungsministerium eingeladen. Wenige Wochen später erhielt ich dann tatsächlich die Zusage.
Ich war noch nie vorher im Baltikum, deshalb entschloss ich mich, bereits eine Woche früher anzureisen – das war die letzte Woche der Sommerferien – und mir die Hauptstadt Tallinn anzusehen. Estland und ganz besonders Tallinn haben eine hochinteressante Geschichte. Ich las einiges über die Geschichte des Baltikums und lernte, dass die Estnische Kultur und Historie stark von deutschen und russischen Einflüssen geprägt sind. Bei meinem Besuch in der Hauptstadt fand ich dann genau jene Bestätigungen dafür und war fasziniert, wie präsent die vor allem mittelalterliche Vergangenheit heute noch ist und das bei gleichzeitiger Technik- und Computerbegeisterung. Man hat das Gefühl, dass man eine Zeitreise in die Vergangenheit macht. Das Erscheinungsbild der Altstadt entspricht dem einer mittelalterlichen Stadt, die typischen Touristenorte von Tallinn pflegen auch dieses Image. Und trotz dieses mittelalterlichen Erbes hat es Tallinn nicht verabsäumt, zu einer modernen Stadt zu avancieren, moderner als so manch andere Weltstadt mit allgegenwärtiger skype- und downloadfähiger Internetverbindung. Skype, mit Smartphones bezahlen und politische Wahlen via Internet sind nur drei Beispiele estnischer Erfindungen, die das digitale Faible der Esten beschreiben.
Ich unterrichtete in Estland an zwei Orten, zuerst war ich im Gymnasium in Pärnu-Jaagupi, ein kleines mit etwas über 1200 Einwohnern verschlafenes Dorf im Westen. Die Gruppengrößen erinnerten mich eher an die WPGs bei uns. Generell waren die Schülerinnen und Schüler eher schüchtern und trauten sich zuerst nicht Deutsch zu sprechen. Erst als ich ihnen meine Estnisch-Künste, die irgendwo unter dem Gefrierpunkt sind, vorführte und ihnen klar wurde, dass ich mich mit ihrer Sprache noch viel mehr herumplage als sie mit Deutsch – oder wie sie es nennen: Saksa Keel –, tauten sie langsam auf und begannen auch von sich aus deutsch zu sprechen.
Ich zeigte ihnen Bilder, Powerpoints, Lieder, Bräuche und alles andere, was sie begierig über Österreich wissen wollten, dafür besuchten sie mit mir Museen, Moore und führten mich in die estnische Küche ein, die etwas schwer und deftig ausfällt.
Nach zwei Wochen verließ ich den Westen und fuhr quer durch das Land nach Jõgeva, eine Kleinstadt, deren Namen ich erst am Ende meiner Reise so wirklich aussprechen konnte. Die Schule in Jõgeva ist ein staatliches Gymnasium, was bedeutet, dass viel Geld aufgewendet wurde, um die Schule zu modernisieren. Das Gebäude ist neu, alle Klassen sind mit Beamer und Laptop ausgestattet. Es gibt ein großartiges und reichhaltiges Schulcafe, ein wirklich gemütliches Konferenzzimmer, das eher an ein Lounge-Cafe am Flughafen erinnert als an ein Lehrerzimmer. Auffallend ist, dass dieses Gebäude im Verhältnis zur Schülerzahl großzügig dimensioniert ist.
Die Deutschkenntnisse der Schülerinnen und Schüler waren hier schon sehr weit fortgeschritten, mit manchen trainierte ich für eine bevorstehende C1-Prüfung.
An beiden Schulen wurde ich sehr freundlich und aufgeschlossen empfangen. Als Österreicher galt ich dort als exotischer Südländer, ich wurde gebeten Vorträge über Österreich und das Bildungswesen zu halten, ich gab Interviews für lokale Zeitungen und diskutierte über die aktuelle österreichische Politik bezüglich der Flüchtlingsthematik.
Rückblickend muss ich sagen, dass dieser Pädagogische Aufenthalt und die gewonnenen Erfahrungen den Aufwand und die Planung mehr als wettmachen. Ich konnte meinen Horizont erweitern und war vier Wochen lang Teil eines anderen Bildungssystems, ich beobachtete mich und meine Aufgabe in diesem System und begann, mich mit meinen bisher gesammelten Eindrücken und Erlebnissen im österreichischen Schulsystem in kontrastiver Weise auseinanderzusetzen.
Das verbindende Gemeinsame von Österreich und Estland bezüglich Bildungsangelegenheiten ist sicherlich das Ziel, das Beste für die Zukunft schaffen zu wollen. Allerdings wird der Weg dorthin unterschiedlich bestritten. Estland hat erkannt, dass es als kleines Land eine Nische in der Technik, in der Wirtschaft und überhaupt in der Welt finden muss, um sich seine Zukunft zu sichern. Daher liegt der Fokus auf einem breitgefächerten Fremdsprachenangebot und auf dem selbstverständlichen Umgang mit Computern für Jedermann. IT-Skills sind die Zukunft – so hörte ich es in vielen Schulen und somit sind Computer- und Internetfertigkeiten integrativer Bestandteil des Grundschul- und Unterstufenlehrplans.
Nach vier Wochen trat ich die Heimreise an; die Zeit war leider viel zu schnell vergangen, ich hätte gerne noch ein paar Wochen angehängt. Meine positiven Erwartungen haben sich alle bestätigt und ebenso fiel mein Resümee aus: In einem fremden Land Deutsch als Fremdsprache zu unterrichten, ist eine Erfahrung, die ich jedem nur ans Herz legen kann; und eine Reise nach Estland sowieso.